Autor Thema: Jeffery Deaver - Nachtschrei  (Gelesen 5119 mal)

Helluo Librorum

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Jeffery Deaver - Nachtschrei
« am: 25. Mai. 2012, 17:41:56 »
Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Jeffery Deaver - Nachtschrei


Genre: Thriller
Seiten: 512
Verlag: Blanvalet
ISBN-10: 3442374715
ISBN-13: 978-3442374717

Zitate

„Erfrischende Action, mentales Duell: Ein echter Leckerbissen!“ (krimi-couch.de )

„Deaver tritt ein großes Erbe der literarischen Moderne beherzt und bravourös an.“ (Kurier am Sonntag)

Autor & Buch (Allgemeines)

Wenn man die Frage nach guten Autoren im Genre des Thrillers in den Raum wirft, dann wird man unter anderem häufig Jeffery Deaver genannt bekommen. Zu Recht! Denn selbst seine schlechteren Romane liegen in diesem Genre immer noch über dem Durchschnitt. Von seinen besseren Werken ganz zu schweigen! Somit kann man seine Bücher eigentlich immer bedenkenlos empfehlen. Auch wer noch nie ein Buch von diesem Autoren gelesen hat, sollte ihm unbedingt einmal eine Chance geben.

„Nachtschrei“ ist zugegebenermaßen kein typischer Deaver. Das Buch ist anders, aber keinesfalls schlechter. Auch wenn das natürlich letzten Endes immer wieder Geschmackssache ist.

Auf jeden Fall handelt es sich hier um einen echten Thriller und nicht um die viel zu oft etwas verwaschene Lesekost, die man in diesem Genre leider immer wieder präsentiert bekommt.

Handlung


Aus einem abgelegenem Ferienhaus am Lake Mondac bei Wisconsin geht ein Notruf auf dem Polizeirevier ein. Emma, ihr Mann Steven und eine gemeinsame Freundin wollten dort eigentlich ein ruhiges Wochenende verbringen.

Doch plötzlich dringen zwei maskierte Männer in das Haus ein. Es kann gerade noch der Notruf gewählt werden, aber zu mehr als zu einem „Dies“ kommt es nicht, da einer der beiden Eindringlinge es schafft, zuvor das Gespräch zu beenden. Der mysteriöse Notruf sorgt für einiges an Verwirrung auf dem Polizeirevier und veranlasst den Sheriff dazu, Deputy Brynn McKenzie an den Ort des Geschehens zu schicken, um dort nach dem Rechten zu sehen. Denn diesen konnte man zum Glück lokalisieren.

Dort findet Brynn nur noch eine Überlebende vor, mit der sie sich durch das großzügige Waldgelände schlägt und um ihr Leben rennt. Denn sie werden von den beiden Eindringlingen erbarmungslos gejagt. Diese wollen es auf gar keinen Fall riskieren, auch nur einen Zeugen am Leben zu lassen. Es entwickelt sich ein raffiniertes Katz- und Maus Spiel quer durch die Wildnis. Dumm nur, dass beide Gejagte ohne Auto, Handy oder Waffen sind.

Als sich alles zum Guten zu wenden scheint, gerät man stattdessen vom regen in die Traufe. Doch warum dem so ist, möchte ich an dieser Stelle besser nicht verraten.

Charaktere

Die Hauptprotagonisten sind die „Jäger“ Hart und Lewis, die einen Auftragsmord verüben sollen und die beiden „Gejagten“ Brynn und Michelle. Es gibt noch ein paar weitere Charaktere, aber die spielen eine eher untergeordnete Rolle und somit gehe ich hier nicht weiter auf sie ein.

Besonders hervorheben möchte ich die erfahrene Polizistin Brynn, die mit allen Wassern gewaschen ist, sich nicht nur ohne Dienstwaffe zu verteidigen weiß, sondern auch äußerst geschickte Fallen stellen kann. Durch ihren Einfallsreichtum erinnert sie einen tatsächlich schnell an den aus dem TV bekannten „Mac Gyver“, der wahrscheinlich auch aus nichts eine Panzerfaust hätte bauen können.

Die jeweiligen beiden Charaktere sind völlig unterschiedlicher Persönlichkeit und der Umgang miteinander ist für mich ein sehr interessanter Aspekt und macht das Buch zu einem noch spannenderen Leseerlebnis. Wie die beiden „Anführer“ mit ihrem nervigen und teilweise unberechenbaren Gefährten umgehen, hat allergrößten Respekt verdient und eröffnet dem Leser, dass er selbst dies in solch einer Situation wohl nicht geschafft hätte.

Jeffery Deaver hat die Charaktere sehr gut ausgearbeitet und ihnen eine tolle Persönlichkeit verliehen. Es fällt einem auch relativ leicht, sich in die Figuren hineinzuversetzen und mit ihnen zu fiebern. Selbst einer der beiden „Bösen“ schafft es, dem einen oder anderem Leser ans Herz zu wachsen.

Beide Seiten bieten sich ein faszinierendes Katz- und Mausspiel, wie man es leider in kaum einem anderen Buch finden kann.

Schreibstil & Atmosphäre

Für mich war das ein Leseerlebnis der Marke „Kopfkino“ par excellence. Ich fühlte mich während der Geschehnisse im Wald fast durchgehend so, als würde ich es selbst erleben. Und was könnte man großartig Besseres über solch ein Buch sagen?

Die Spannung ist von Beginn an gegeben und hält sich nahezu durch das gesamte Buch aufrecht. Es gibt nur wenige Stellen, wo es einmal etwas mühseliger wird und man sich sogar durch ein paar Seiten kämpfen muss. Aber insgesamt betrachtet stellt sich „Nachtschrei“ als eine erfrischend kurzweilige Unterhaltung heraus. Respekt, dass der Autor trotz dieser hohen Seitenzahl, den wenigen Figuren und der beschränkten Größe des Schauplatzes dazu imstande war, die Spannung fast pausenlos aufrecht erhalten zu können.

Im letzten Buchviertel wartet Jeffery Deaver mit einer riesengroßen überraschenden Wendung auf. Denn wie sich plötzlich herausstellt, ist fast nichts so, wie es zuvor den Anschein hatte. Aber auch zuvor gibt es bereits einige interessante Wendungen, auch dank der dieses Buch nie Gefahr läuft, langweilig zu werden.

Nachbemerkung

Als ich mir einige Rezensionen zu diesem Buch im Internet durchgelesen habe, ist mir negativ aufgefallen, dass es viele Leser gibt, die sich darüber echauffieren, dass es höchst unrealistisch anmutet, dass diese beiden Zweiergruppen sich in einem derart großen Waldgebiet so oft über den Weg laufen können.

Aber da einer der beiden „Jäger“ ein absolut intelligenter Profikiller ist, der sich zudem sehr gut auf das Lesen von Spuren versteht, empfinde ich das als durchaus realistisch. Nicht zuletzt kann man sich ja auch sehr gut in die Rolle der Gejagten hineinversetzen, erahnen, was sie tun, wohin sie gehen könnten u.s.w. (Stichwort „logisches Denken“)

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr!  ;)



Leseprobe

Stille.
Im Wald rund um den Lake Mondac war es vollkommen ruhig. Das Ehepaar, das werktags in der brodelnden, chaotischen Stadt lebte, kam sich wie in einer anderen Welt vor.
Stille, nur unterbrochen durch den gelegentlichen Ruf eines fernen Vogels oder das dumpfe Quaken eines Frosches.
Nun aber: ein anderes Geräusch.
Das Rascheln von Blättern, zweimal das scharfe Knacken eines Zweiges.
Schritte?
Nein, das konnte nicht sein. Die anderen Ferienhäuser am See waren an diesem kühlen Freitagnachmittag im April menschenleer.
Emma Feldman, Anfang dreißig, stellte ihren Martini auf den Küchentisch, an dem sie ihrem Mann gegenübersaß. Sie schob sich eine lockige schwarze Haarsträhne hinter das Ohr und ging zu einem der schmutzigen Küchenfenster, sah von dort aus aber nichts als ein Dickicht aus Zedern, Wacholder und Schwarzfichten, das den Hang eines steilen Hügels bedeckte, dessen Felsen geborstenen gelben Knochen ähnelten.
Emmas Mann zog eine Augenbraue hoch. »Was war das?«
Sie zuckte die Achseln und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. »Keine Ahnung. Ich kann nichts entdecken.«
Draußen herrschte wieder Stille.

< ….. >

Das Haus knarrte, wie so oft. Es war sechsundsiebzig Jahre alt und bestand weitgehend aus Holz, mit nur wenig Stahl und Stein. Die Küche, in der sie sich aufhielten, war winklig geschnitten und mit heller Kiefer vertäfelt. Der Boden war uneben. Das im Stil der Kolonialzeit errichtete Haus war eines von insgesamt drei Gebäuden an dieser Privatstraße, zu denen jeweils eine vier Hektar große Parzelle gehörte. Man konnte von einem Seegrundstück reden, aber nur, weil das Wasser knapp zweihundert Meter von der Vordertür entfernt gegen das felsige Ufer plätscherte.
Das Haus stand auf einer kleinen Lichtung an der Ostflanke einer beachtlichen Bodenerhebung. Die mittelwestliche Bescheidenheit der Leute hier in Wisconsin hielt sie davon ab, diese Hügel als »Berge« zu bezeichnen, obwohl die Kammlinien auf bis zu zweihundertfünfzig Metern Höhe lagen. Im Augenblick wurde das große Haus in den blauen Schimmer des späten Nachmittags getaucht.
Emma schaute hinaus auf den Lake Mondac. Der Abstand zum Hügel war groß genug, dass die gekräuselte Oberfläche ein paar letzte Sonnenstrahlen einfangen konnte.

< ….. >

Stille …
Das Haus besaß außerdem eine recht lebhafte Vergangenheit.
Der Eigentümer eines der großen Schlachtbetriebe von Chicago hatte es vor dem Zweiten Weltkrieg bauen lassen.

< ….. >

1956 fand man die Leiche des Mannes im See treibend vor;

< ….. >

In keiner Version dieser Mordgeschichte war von Gespenstern die Rede, aber Emma und Steven schmückten die Erzählung für ihre Gäste gern selbst etwas aus. Dann verfolgten sie schadenfroh, wer daraufhin das Badezimmerlicht brennen ließ und wer sich weiterhin mutig ins Dunkel wagte.
< ….. >

Draußen knackten abermals zwei Zweige. Dann ein dritter.
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill