Autor Thema: Osman Engin - Lieber Onkel Ömer (Briefe aus Alamanya)  (Gelesen 15033 mal)

Helluo Librorum

  • Hero Member
  • *****
  • Beiträge: 1.822
Osman Engin - Lieber Onkel Ömer (Briefe aus Alamanya)
« am: 22. Mär. 2012, 08:03:56 »
Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Osman Engin: Lieber Onkel Ömer - Briefe aus Alamanya

Genre: Humor
Seiten: 272
Verlag: Deutscher Taschenbuchverlag
ISBN-10: 3423210974
ISBN-13: 978-3423210973

Zitate

"Mit seinen Geschichten aus dem deutsch-türkischen Alltag hat sich der Satiriker Osman Engin zum bekanntesten deutsch-türkischen Humoristen gemausert. Und ein Auftrittsverbot in Bayern darf er da durchaus als Erfolg verbuchen; offensichtlich trifft er da, wo es weh tut." (Prinz)

"Osman Engin hat ein schlicht umwerfendes Talent als Satiriker. Wer gern Kishon liest, soll es unbedingt auch mit Engin versuchen. Er ist mit Abstand komischer!" (Buchkritik.at)

"Osman Engin ist Meister der politisch unkorrekten Satire. Seine Bücher sind Kult!" (Weltbild)

"Eine deutsch-türkische Satire mit viel Selbstironie: literarische Völkerverständigung zum Schmunzeln." (Michael Schmitz / Rheinischer Merkur)

"Der türkische Autor, der seit 1973 in Deutschland lebt, führt eine lockere satirische Feder. Den Spiegel hält er beiden Seiten vor." (Sächsische Zeitung)

Autor & Buch (Allgemeines)


Osman Engin ist ein türkischer Autor, der bereits seit Kindesalter in Deutschland lebt. Er hat mit seinem Buch "Lieber Onkel Ömer - Briefe aus Alamanya" eine wundervolle Satire verfasst, in der er aus der Sicht des Türkischen Einwanderes mit einem Augenzwinkern über das Leben in Deutschland berichtet.

Dieses Buch ist nicht nur etwas für alle in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft, die sich auch sehr schnell darin wiedererkennen werden, sondern auch ein besonderes Leseerlebnis für alle Deutschen, die schon immer einmal wissen wollten, wie ihr Land auf all dessen ausländische Einwohner wirkt. Dabei nimmt Osman Engin schonungslos alles und jeden auf die Schippe.

Wer sein Heimatland also gerne einmal aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachten möchte, der sollte unbedingt zu "Lieber Onkel Ömer - Briefe aus Alamanya" greifen und sich von Osman Engin erklären lassen, wie Deutschland "funktioniert".

Dabei ist dieses Buch einfach nur komisch und dermaßen unterhaltsam, dass man Gefahr läuft, gar nicht mehr mit dem Lachen aufhören zu können.

Es kann zugegebenermaßen aber auch schon mehr als merkwürdig anmuten, wenn man von heute auf morgen eine völlig andere Kultur kennenlernt und sich mit dessen Eigenarten arrangieren muss:

Warum dekorieren Zwerge so viele deutsche Gärten?

Warum geht am "Tag der Arbeit" kaum jemand arbeiten?

Warum missbrauchen Männer, die gar keine Väter sind, den Feiertag "Christi Himmelfahrt", um mit Bierkisten beladenen Bollerwagen grölend durch die Straßen zu ziehen?

Warum flippen am Karneval in Köln alle Menschen aus, ziehen zu Hunderttausenden durch die Straßen, bewerfen sich mit Kamelle, schneiden fleißig Krawatten ab und landen volltrunken mit dem nächstbesten Fremden im Bett, um am nächsten Tag mit rasenden Kopfschmerzen sein eigenes lächerliches Verhalten vom Vortag zu bereuen?

(In "Lieber Onkel Ömer - Briefe aus Alamanya" wird z.B. der Karneval sinngemäß so beschrieben: Orgien, bei denen bis zu 20 Menschen mitmachen, sind ein Swingerclub und eher verpönt. Wenn aber bis zu 20 Millionen Menschen daran teilnehmen, dann nennt man das Karneval und es wird tagelang live im Fernsehen übertragen.)

Warum schenkt man seinen Müttern nur einmal im Jahr Aufmerksamkeit und Anerkennung und was genau haben Blumenläden, Parfümerien und Süßwarenabteilungen damit zu tun?

Was hat die Auferstehung von Jesus Christus mit einem zum Riesen mutierten Hasen zu tun, der durch die Gegend hoppelt und bunte Eier versteckt, die die Kinder suchen müssen?

Warum haben die Menschen, wenn überhaupt, meistens nur zur Weihnachtszeit Interesse an ihren Mitmenschen, fällen Millionen Tannenbäume, die sie dann in ihr Heim schleppen, bunt und glitzernd behängen und auch noch mit einem eigenen Lied besingen?

Andererseits ist es natürlich auch nicht unbedingt wesentlich leichter, als Türke den Deutschen Sachen wie Ramadan oder das Opferfest zu erklären.

Auch der Beitritt der Türkei zur EU sowie sämtliche gängigen Vorurteile gegenüber Deutschen, Türken oder der Frauenwelt werden gnadenlos vom Autoren thematisiert.

Handlung

Osman löst ein altes Versprechen ein und schreibt ein Jahr lang jeden Monat zwei Briefe an seinen geliebten Onkel Ömer, der noch in Anatolien lebt. Dort wartet man schon immer höchst ungeduldig auf die neue Post aus "Alamanya" und all die interessanten Berichte, wie das Leben in einer anderen Kultur denn so ist.

Ein zweiter "Handlungsstrang", mit dem nahezu jeder Brief endet, ist die bange Befürchtung Osmans, dass seine Frau nicht nur gebildet, sondern sogar einmal eine Ärztin gewesen sein könnte. Für einen Mann mit seinem Weltbild ohne Frage ein absoluter Albtraum! Über sämtliche neue Erkenntnisse zu dieser brennenden Frage werden wir, bzw. Onkel Ömer, daher stets auf dem Laufenden gehalten.

Antworten erhält unser lieber Osman in diesem Buch übrigens keine einzige. Aber das muss auch nicht sein. Und wer mag, der darf sich dazu natürlich nur zu gerne seine eigenen Gedanken machen.

Nachbemerkung

Den einzigen Kritikpunkt, den ich bei diesem äußerst gelungenen Buch überhaupt anbringen kann, ist der, dass ich mich frage, wie man jeden einzelnen Brief mit den selben Sätzen und Fragen beginnen kann? Das mutete sehr schnell langweilig an und brachte mich nicht weniger schnell dazu, diese Zeilen des Briefes geflissentlich zu überlesen. Oder musste der Autor am Ende noch ein paar zusätzliche Seiten füllen und hatte keine neuen Ideen? (Man weiß es nicht.)

Schlusswort

Dieses Buch hat die wunderbare Fähigkeit, der Völkerverständigung zu dienen und sollte uns alle zum Nachdenken animieren, wie man den kulturellen Austausch nachhaltig verbessern kann.

Leseprobe

Der gute Neujahrsvorsatz

Mein lieber Onkel Ömer,

wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht's der hübschen Kuh Pembe, wie geht's der schwarz gepunkteten Ziege Fatima, wie geht's Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht's unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?

Lieber Onkel Ömer, Du fragst mich ja schon seit Jahren ständig, wie mein Leben hier im kalten Deutschland so aussieht.

Halt Dich fest, jetzt kommt mein tolles Neujahrsgeschenk für Dich: Ich habe mir als guten Vorsatz fürs neue Jahr genommen, meinem Lieblingsonkel Ömer daheim in Anatolien ein Jahr lang alle vierzehn Tage einen Brief zu schreiben, um Dir darin von meinem aufregenden Leben in Alamanya als Türke mit Migrationshintergrund zu berichten und um Dir zu zeigen, wie dieses verrückte Deutschland so tickt, ich meine, funktioniert.

Meine Frau Eminanim meckert jetzt schon, dass ich auch diesen guten Vorsatz mit Sicherheit nicht einhalten werde, so wie all die anderen guten Vorsätze, die ich jedes Jahr schon nach zwei Tagen, manchmal sogar nach zwei Minuten, aufgebe. Ich habe nämlich immer noch zwanzig Kilo Übergewicht, ich gehe immer noch nicht spazieren und ins Fitnesscenter, ich hocke immer noch vor dem Fernseher, und meine Haare fallen immer noch aus.

Aber wieso sollte ich auch nach fünfzig Jahren wie ein frisch verliebter Hahn plötzlich mit dem Essen aufhören, nur, um ein bisschen schlanker auszusehen? Warum sollte ich wie ein streunender Hund zu Fuß durch die Straßen laufen, wo doch mein lieber Ford-Transit noch so gut in Schuss ist und es draußen ständig regnet und ekelhaft kalt ist? Wieso um Himmels willen sollte ich gerade jetzt weniger fernsehen, wo ich mir endlich tausend deutsche Kanäle und dazu noch hundertzweiundfünfzig türkische Sender leisten kann? Und was meine Haare betrifft, wie sagte meine Tante Ülkü so schön: Gehende soll man nicht aufhalten!

Also, versprochen ist versprochen, auch wenn ich bisher noch nie einen meiner guten Vorsätze einhalten konnte, diesmal werde ich es schaffen!

Ich weiß, dass Du meine Briefe immer in unserem Dorfcafe mit stolzgeschwellter Brust allen Leuten vorliest, deswegen werde ich mir besondere Mühe geben. Ich habe mich auch sehr gefreut, dass unser Dorfvorsteher Hüsnü mir letztens am Telefon verraten hat, dass er alle meine Briefe an der schwarzen Tafel aufhängt, direkt neben seinen wichtigen Meldungen. Er ist nämlich sehr stolz darauf, dass ein Sohn unseres Dorfes, nämlich der Osman, in Deutschland große Karriere gemacht und als Schlosser den riesigen Sprung von Halle 3 in Halle 4 geschafft hat - und nicht ins Hartz IV.

Ich werde beweisen, dass Ihr alle zu Recht stolz auf mich seid. Ich habe auch meiner Mutter schon die frohe Botschaft überbracht, dass sie ab sofort jeden Monat zwei Briefe von mir am schwarzen Brett vom Dorfvorsteher Hüsnü lesen kann. Sie freut sich riesig darauf. Ich darf die gute Frau nicht schon wieder enttäuschen. Außerdem möchte ich nicht wieder das ganze Jahr zum Gespött Eminanims werden, das allein setzt mich genug unter Druck.

Lieber Onkel Ömer, für Dich geht das neue Jahr ja erst los, wenn am 1. Januar der Hahn kräht - wenn er stottert, dann halt am 2. Januar. Aber hier in Alamanya fängt das neue Jahr, anders als bei Euch im Dorf, pünktlich um 24 Uhr in der Silvesternacht an. Da werden die letzten 365 nervigen, anstrengenden Tage endlich verscheucht, und den neuen kommenden 365 Tagen wird mit gekünstelter, vorgespielter Euphorie Platz gemacht, in der Hoffnung, das Schicksal milde zu stimmen, damit die Zukunft besser verlaufen möge. Nach dem Motto: »Wie man in das neue Jahr hineinkommt, so geht es auch weiter!«

Deshalb wollte ich vor drei Jahren dem Schicksal etwas nachhelfen und habe den Silvesterabend mit der gesamten Familie vor dem Geldautomaten der Sparkasse in unserer Straße verbracht. Punkt Mitternacht habe ich 500 Euro abgehoben, auf dass der starke Geldsegen das ganze Jahr über andauern möge. Aber das schöne Geld wurde mir wenig später leider prompt geklaut. Nach dieser bitteren Enttäuschung habe ich in dein Jahr keiner noch so alten Dame mehr über die Straße geholfen. Erst recht nicht, wenn sie angeblich betrunken war!

Vor zwei Jahren hatten wir am Silvesterabend mit der ganzen Sippschaft die Lobby eines Fünfsternehotels in Bremen besetzt, damit wir im Urlaub nicht mehr in der billigsten Absteige von Antalya landen, dafür landeten wir dann pünktlich zum Jahreswechsel auf dem Bremer Polizeirevier in der Stadtmitte.

Letztes Jahr hatte ich gute alte Bekannte weit draußen auf dem Land besucht und denen somit meinen Respekt entgegengebracht, in der Hoffnung, dass ich im neuen Jahr ausnahmsweise auch mal respektiert werde, wenigstens von meinen Kindern. Bei meiner Frau mache ich mir schon lange keine Hoffnungen mehr!

Um 23 Uhr war ich von dem älteren Paar weggefahren, um vor Mitternacht zu Hause zu sein. Eminanim hatte viele hübsche Freundinnen zur Silvesterfeier eingeladen. Die Aussicht, die kommenden 365 Tage in Gegenwart schöner Frauen zu verbringen, war natürlich sehr verlockend. Ich trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch! Mein tiefergelegter 68er-Ford-Transit legte sich in die Kurven wie eine Formel-1-Maschine. Auf der einsamen Landstraße raste ich mit 63,5 km/h durch die winterliche Nacht.

Und prompt landete ich in einer Verkehrskontrolle. Die Straße war voll abgesperrt, und mehrere Polizeiautos mit Blaulicht standen quer. War ja klar, dass die Bullen am Silvesterabend nach Alkoholsündern Ausschau halten würden. In Sekundenschnelle überschlug ich, was ich an dem Abend getrunken hatte. Über ein Dutzend Tassen Tee. Ob sich so viel Tee im Geschwindigkeitsrausch in Alkohol verwandeln würde, wusste ich nicht!

Es waren nur noch dreißig Minuten bis Mitternacht. Ich fuhr langsam an die Polizeisperre heran und bekam einen Schock! Ein Toter! Knapp zwei Meter vor mir lag ein toter Mensch mitten auf der Fahrbahn. Alles war voll Blut! Ein grauenhafter Unfall war passiert. Ein roter BMW hatte sich um einen Baum gewickelt.

Es waren nur noch sechsundzwanzig Minuten bis zum neuen Jahr.

»Hallo, dürfte ich bitte vorbeifahren? Ich werde dringend zu Hause erwartet«, rief ich einem der vielen Polizisten zu, aber der schaute mich nicht mal an. Die waren gerade dabei, die Spuren zu sichern. Der Notarztwagen war noch nicht da, aber dafür zwei Kamerateams vom Privatfernsehen.

Bei Allah, mit gutem Essen und schönen Frauen wollte ich das neue Jahr beginnen, aber stattdessen musste ich neben einem toten BMW-Fahrer ausharren. Was wollte das Schicksal mir damit sagen? Würde ich das ganze Jahr über mit Toten zu tun haben? Oder würde ich bald ziemlich respektabel selbst den Löffel abgeben?

»Bitte, bitte, Herr Polizist, lassen Sie mich vorbeifahren!«, flehte ich einen der Beamten durch das Seitenfenster an, »Ich werde auch ganz vorsichtig dran vorbeifahren. Bei dem Mann kann ich sowieso nicht mehr viel falsch machen. Die Leiche ist ohnehin schon tot!«

Für eine Sekunde hatte ich sogar das Gefühl, dass selbst der Tote mich erhört hatte, aber diese gnadenlosen Männer in Uniform nicht. Sie beachteten mich gar nicht und liefen einem Rettungswagen entgegen, der mit großem Gejaule aus der anderen Richtung kam.

Ich saß wie auf glühenden Kohlen und hatte nur noch sechzehn Minuten, um mir meinen Harem fürs kommende Jahr zu sichern! Aber die Zeit verging, und ich hockte zusammen mit einem Toten auf' der B278. Es war zum Verrücktwerden: Wegen ein paar halbstarken Bauernburschen, die mit ihrem zwei Tage alten Führerschein nachts besoffen in die Landdisko rasen, durfte ich am Silvesterabend mitten auf der Straße Totenwache halten.

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr!  ;)
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill