Autor Thema: Nicht zu fassen!  (Gelesen 3810 mal)

morfois43

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Nicht zu fassen!
« am: 28. Feb. 2012, 12:37:06 »
Hallo,

hier mal was aus der Rubrik: "Nicht zu fassen!"
in der Zeitung fand ich gestern folgende kleine Meldung:

Berlin: Entschädigungszahlungen für ehemalige Heimkinder sollen künftig nicht auf Hartz-IV
Bezüge oder andere Transferleistungen angerechnet werden können. Dazu müsse die
derzeitige Regelung noch geändert werden, sagte ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums
am Wochenende. Gelinge eine entsprechende Enigung mit den Kommunen nicht, müsse ein Gesetz beschlossen werden. Um eine Verrechnung der Hilfszahlungen zu verhindern, fließe aus dem 120-Millionen-Euro-Fond vorerst kein Geld. Der Bund, die westlichen Bundesländer, die beiden großen Kirchen, Orden und Wohlfahrtsverbände hatten sich 2011 auf den Fond geeinigt.
Er soll frühere Heimkinder unter anderem dafür entschädigen, dass sie in Industrie und Landwirtschaft arbeiten mussten, ohne Lohn zu erhalten.
(Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 27.02.2012)

Was ist hier der Hintergrund? Um diese kleine, lapidare Meldung und ihre Ungeheuerlichkeit zu verstehen, muss man die Geschichte der deutschen Fürsorge- und Heimunterbringung kennen:
Kurz nach dem zweiten Weltkrieg sah es für viele Kinder und Jugendliche traurig aus. Ihre Väter waren im Krieg getötet, in Gefangenschaft oder vermisst. Es bildeten sich, vor allem in den Städten, Banden, die teils schwere kriminelle Taten begingen.

Manche Kinder und Jugendlichen hatten aber auch nur einfach das Pech, das sich ihre Mutter nicht angemessen um sie kümmern konnten. Der Staat wußte sich nicht anders zu helfen, als geschlossene Heime zu schaffen, in die man diese "verwahrlosten" Kinder unterbrachte. Dieses Heim-und Fürsorgesystem wurde, auch in den folgenden Jahrzehnten (50er bis 1970er Jahre) einfach beibehalten. Das heißt, die Gesellschaft hat sich dem Heimsystem angepaßt- nicht umgekehrt! Man musste nicht einmal mehr kriminell werden, es reichte z.B. einmal betrunken aufgegriffen zu werden, als Mädchen Kontakt zu Jungen zu haben ("sittlich verwahrlost") oder schlicht den eigenen Eltern widersprochen zu haben. Einmal im Heim drin, kam man in der Regel erst mit 21 Jahren wieder raus. Durch Prügel und Zwangsarbeit meist gebrochen fürs Leben!

Oft waren diese Heime dieselben Gebäude, in denen, nur wenige Jahre zuvor, die Nazis ihre "Straftäter" inhaftiert und gefoltert hatten. Nicht nur das: Auch das "Heimpersonal", die sog. "Erzieher" waren dieselben, die unter den Nationalsozialisten gefoltert und gequält hatten. Entsprechend ging es in diesen Heimen zu: Schläge, Erniedrigungen, Verbote, militärischer Drill. Aber vor allem harte, körperliche Arbeit. Hier in Norddeutschland, mussten z.B. viele im Moor arbeiten und Torf stechen. Andere arbeiteten in der Industrie, z.B. in Zulieferbetrieben von VW. Dort fertigten sie Teile für den VW-Käfer. Der Autokonzern verdiente, allein mit diesem Modell, über die Jahrzehnte, hunderte Millionen D-Mark. Die Heimzöglinge verdienten in der Regel nichts, manchmal nur Pfennige.

Diese ehemaligen Heimzöglinge sind heute im Rentenalter. Vielen hat die Gewalt in diesen "Heimen" und die harte Arbeit in ihrer Jugend die Seele und die Gesundheit ruiniert. Das schlimmste aber ist, das sie, aufgrund fehlender Gehaltsabrechnungen, oft keinerlei Rentenansprüche haben. Diese Unterlagen können auch nicht nachbeschafft werden. Sie haben, da ja offiziell kein Lohn gezahlt wurde, nie existiert oder die Heime und ihre Träger, sind längst aufgelöst und alle Nachweise vernichtet. Oft jahrzehntelang haben die ehemaligen Heimkinder um Akteneinsicht und Entschädigungen gekämpft. Erst im letzten Jahr, im Sog der Skandale um missbrauchte Kinder durch katholische Priester, haben sich Staat, Bundesländer und Kirche dazu durchgerungen, einen Entschädigungsfonds für diese Menschen einzurichten, denen der Staat die Jugend zerstört hatte.

Und nun dies: Diese Menschen, denen die Rente verwehrt wird, und die von Hartz-IV leben müssen, wird die Entschädigung, um die sie jahrelang kämpfen mussten, auf ihr Arbeitslosengeld angerechnet!! Die Auszahlung der Entschädigungen an die Opfer wurde nun erstmal solange gestoppt, bis die Angelegenheit gesetzlich geklärt ist. Im schlimmsten Fall kann das Monate, vielleicht sogar nochmal Jahre dauern! Wie verfault müssen die Beamtengehirne sein, die sich so etwas ausdenken!?
Die Werteskala unserer Gesellschaft scheint mir, angesichts solcher Beispiele, völlig auf den Kopf gestellt.   


« Letzte Änderung: 28. Feb. 2012, 12:43:34 von morfois43 »