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Dokumentarfilm: "Searching for Sugarman" (2012)Auf der Suche nach dem US-amerikanischen Folksänger Sixto Diaz RodriguezRodriguez ist heute 76 Jahre alt und Musiker aus Detroit. Musiker war er nicht immer. Er hatte Anfang der 70er Jahre zwei Studioalben eingespielt, die blieben aber ohne kommerziellen Erfolg. Um Geld für die Familie zu verdienen arbeitete er seither viel auf dem Bau und gab hin und wieder Konzerte in lokalen (Souterrain-) Bars.
Dabei war Rodriguez berühmt. Und nicht nur das: er war Kult. Eine Ikone. In Australien, aber vor allem in Südafrika. Dort hatte damals wohl so ziemlich jeder Haushalt seine Platten in der Plattensammlung. Zur Erinnerung: Das war die Zeit, als in Südafrika noch die Apartheid herrschte. Nelson Mandela hatte noch viele Jahre im Gefängnis vor sich. Das Internet gab es noch nicht.
Die Platten von Rodriguez verkauften sich in Südafrika außerordentlich gut. Es gibt Menschen, die damit viel Geld verdient haben. Nicht jedoch Rodriguez. Der wusste überhaupt nichts von seinem Erfolg und hat von dem Geld keinen einzigen Cent gesehen. Dabei kannte ihn in Südafrika jedes Kind. Seine Protestsongs galten als poetischer, schärfer und schlagkräftiger als die von Bob Dylan. Er sang (und singt) über menschliche Abgründe und Menschen von ganz tief unten, die bestenfalls am Rande der Hoffnungslosigkeit aber oft auch jenseits davon, nie aus ihren Verhältnissen herauskommen werden, geschweige denn, es irgendwann einmal nach oben schaffen. Seine Alben waren in Südafrika erfolgreicher als die der Rolling Stones!
Rodriguez ging stattdessen weiter auf dem Bau (Abriss- und Aufräumarbeiten mit einem großen Hammer, was er immer auch philosophisch gesehen hat) arbeiten und machte 1981 an der Universität einen Bachelor in Philosophie.
Eine unglaubliche GeschichteDas alles zeigt uns der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilm des schwedischen Dokumentarfilmers Malik Bendjelloul: „Searching for Sugarman“. Das geschieht alles ganz dokumentarisch sachlich. Die Geschichte ist allerdings gerade aus heutiger Sicht so unglaublich, dass man sich ständig ertappt, wie ergriffen man sich fühlt und wie ungläubig man mit offenem Mund auf die Leinwand schaut. Irgendwie kommt immer wieder dieses Gefühl hoch, dass die ganze Geschichte einfach nicht wahr sein kann. Dafür wirkt das alles zu... ja, grotesk. Immer wieder möchte man „Google“ fragen, ob das alles wirklich so passiert ist. Es ist. Und dennoch – wider besseren Wissens, bleibt dieses seltsame Gefühl.
Die zahlreichen Interviews mit ProtaginistInnen bringen einem das Außergewöhnliche dieser Geschichte intensiv näher. Die Menschen berichten, was Rodriguez, mit seiner Musik, für sie, für Freunde, auch für weiße Polizisten, ja, für das ganze Land bedeutet hat. Welchen enormen Einfluss seine kritischen Texte auf das gesellschaftliche Leben in dem damals weitgehend isolierten Südafrika genommen hatte. Kritik war zu der Zeit nur sehr eingeschränkt möglich. Repression gehörte zum Alltag. Rodriguez bedeutete Träume, Freiheit, Grenzüberschreitung, Hoffnung und ganz real ein erster Samen echten Widerstands.
"The Great Rodriguez Hunt"Aber existiert dieser Rodriguez überhaupt. Niemand hatte ihn jemals gesehen oder mit ihm gesprochen. Es gab keine Bilder von ihm, jedenfalls keine, auf denen man ihn hätte erkennen können, keine Adresse: nichts. Nicht Mal auf den Plattencovern. Viele Gerüchte kursierten über die Jahre. Eines von ihnen besagte, dass Rodriguez Selbstmord begangen habe, als er irgendwo während eines Konzerts einen Revolver gezogen und sich auf der Bühne, vor dem Publikum, eine Kugel in den Kopf gejagt hat.
Der Südafrikaner Stephen Segerman führte in den 90er Jahren einen Plattenladen und war ein großer Rodriguez–Fan. Er hatte bereits viele Jahre vergeblich versucht, den Musiker ausfindig zu machen. Man muss sich das Mal vorstellen, der Mann saß ja sozusagen an der Quelle und dennoch blieb seine Suche lange erfolglos. In den 90er Jahren schaltete er – vorher war das so ja noch nicht möglich, eine Internetseite mit dem Namen "The Great Rodriguez Hunt". Diese wurde damals eher zufällig (surfend) von einer von Rodriguez' Töchtern entdeckt und sie hat sich bei Segerman gemeldet.
Es heißt: er kommtEndlich, endlich, endlich, möchte man sagen. Es war soweit und eine Konzert-Tournee durch Südafrika wurde geplant und schließlich organisiert. Selbstredend, dass die Karten rasend schnell verkauft waren. Und doch: die Menschen zweifelten bis zuletzt: würde es wirklich Rodriguez sein, der die Bühne betritt. Handelt es sich vielleicht nur um eine Marketingkampagne für irgendein Unternehmen.
Auch Rodriguez selbst blieb bis zum Schluss, der ja eigentlich ein Anfang war, unsicher. Er wurde zu seiner Tournee in Südafrika von seiner Familie begleitet.
Doch tatsächlich. Menschen sammeln sich an der ersten Konzert Location. Wie verzaubert pilgern sie dem Eingang entgegen. Der Saal ist voll. Die Kamera fängt die Gesichter der erwartungsvollen und vor Neugier ungeduldigen Menschen ein, schwenkt immer wieder zur Bühne und zurück in das Publikum. Irgendwann kommen Musiker auf die Bühne. Rodriguez ist nicht dabei. Die unverkennbare Bassline von "I Wonder" (
https://www.youtube.com/watch?v=UC0AbW7niHk) setzt ein. Die Menschen jubeln überglücklich mit strahlenden Gesichtern. Das ist emotional mitreißend. Geschichte kulminiert hier in einem vom Publikum ganz bewusst wahrgenommenen, auch in Anbetracht des inzwischen überkommenen Apartheid-Regimes, geradezu stellaren Ereignis.
Identität einer NationAlles was die Menschen mit der Musik von Rodriguez, mit seinen Texten, den Geschichten, verbinden, schwingt sich auf eine höhere Ebene der Wirklichkeit. Die erste Liebe als Teenager, erste Kritik am Apartheidsystem, lange Sommer-Partys, die Hochzeit, Strand und Meer, Träume von Freiheit und Gerechtigkeit. Rodriguez war immer dabei. Das alles wird jetzt zu einem kollektiven Ganzen. Dass was sonst in gewisser Weise konspirativ war (obwohl wirklich jeder diese Musik gehört hat), soll sich gleich für alle hörbar und sichtbar, leibhaftig verkörpert von Rodriguez bahn brechen und zu einer neuen, zukunftstragenden Identität einer ganzen Nation verschmelzen. Magisch. Und dann kommt er wirklich auf die Bühne. Schwarz gekleidet, vorsichtige Schritte, zurückhaltendes Lächeln. Er stellt sich vorne auf der Bühne an sein Mikrofon. Die Leute winken und jubeln: minutenlang. Schließlich sagt Rodriguez bescheiden: „Thank you for keeping me alive“.
Der Film machte Rodriguez 2012 schlagartig international berühmt. Auf die Touren in Australien und Südafrika folgen seither weltweit Konzerte. Inzwischen kann der Mann, der so gerne mit dem großen Hammer auf Baustellen aufgeräumt hat, von seiner Musik leben.
Der Dokumentarfilmer Malik Bendjelloul hat die „tatsächliche“ (die Geschichte ist wirklich wahr) Suche nach Sixto Diaz Rodriguez zu einem brillanten Film verarbeitet. Er hat damit viele Preise gewonnen, 2013 auch den Oscar für den besten Dokumentarfilm. Bendjelloul, so traurig das ist, aber es muss hier gesagt werden, ist 2014 in Stockholm mit 36 Jahren freiwillig aus dem Leben geschieden. Danke für diesen großartigen Film und danke Rodriguez für diese wunderbare Musik. Im Film sagt jemand: „This story is not a miracle, it‘s a wonder“.
"Searching for Sugarman":
https://www.youtube.com/watch?v=YlqBXgN7qDI&list=PLvrWACVuHe6rImJAkWvF03xoGjwZkfYYoRodriguez Live:
https://www.youtube.com/watch?v=e36BEpm99yQAlbum:
"Cold Fact":
https://www.youtube.com/watch?v=HsMEeycUvCk