Autor Thema: Stephen Fry - Geschichte machen  (Gelesen 18139 mal)

Helluo Librorum

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Stephen Fry - Geschichte machen
« am: 23. Jan. 2012, 07:48:55 »
Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Stephen Fry - Geschichte machen


Genre: Historischer Roman
Seiten: 460
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3499224100
ISBN-13: 978-3499224102


"Ein rotzfrecher Roman!" (Der Spiegel)

"Frys legendärer Roman ist eine aberwitzige Utopie und ein fulminanter Lesespaß. Irrsinn, erzählt mit der Leichtigkeit eines Popsongs." (Stern)

Seien Sie mal ehrlich: Haben Sie sich noch nie überlegt, wie unsere Welt heute aussehen würde, wenn es Adolf Hitler nicht gegeben hätte? Falls ja, werden Sie sich ohne jeden Zweifel für dieses Buch begeistern können. Denn um nichts anderes als diese Frage geht es darin. Und dass man nach dem Lesen von "Geschichte machen" sogar geneigt sein könnte, den "Führer" als die "harmlosere" Alternative zu betrachten, spricht alleine schon Bände. Es steht natürlich völlig außer Frage, dass das Kapitel des Nationalsozialismus das dunkelste in der deutschen Vergangenheit war und die Bestie Adolf Hitler Millionen Menschen in den Tod getrieben hat. Aber nach dem Lesen dieses Buches ist man sich relativ sicher: Es hätte alles sogar noch viel schlimmer kommen können! Und so lernen wir daraus: Es führt nicht zwangsläufig zu etwas Besserem, wenn man Schlimmes ungeschehen machen kann. Denn das Grauen hat viele Gesichter.

"Geschichte machen" ist eine Chance, die leider ungenutzt verstrichen ist. Natürlich haben wir auch bis heute nicht die Möglichkeit des "Zeitreisens", aber es gab ja bekanntermaßen einige Möglichkeiten im Leben des Adolf Hitler, wie es anders hätte verlaufen oder früher zu Ende sein können. Als Künstler, wie es ja zeitweise sein Traum war, hätte er unsere Welt nicht in den Abgrund treiben können. Auch sein politischer Aufstieg hätte mehrfach verhindert werden können. Und hätte nur einer der  Attentatsversuche auf Hitler geklappt, wäre unsere Geschichte nicht die, die wir aus den heutigen Lehrbüchern her kennen.

So stellt sich also die Frage, die hinter "Geschichte machen" steckt: War Adolf Hitler austauschbar oder gab es den Völkermord nur wegen seiner Person? Wie hätte Deutschland ohne seinen "Führer" ausgesehen und welchen Weg hätte die Deutsche Geschichte eingeschlagen? Würden wir heute überhaupt existieren, wenn alles anders verlaufen wäre? Können wir Geschichte machen oder sind wir machtlos? Allesamt höchst interessante Fragen, für deren Antwort man sich ausreichend Zeit nehmen und dafür auch mal ein paar zusätzliche Gehirnzellen aktivieren sollte.

Zum ersten Mal nimmt sich Stephen Fry also auch eines ernsten Thema`s an, jedoch ohne dabei seinen gewohnten Charme oder seine Boshaftigkeit zu verlieren.
Die gekonnte wie komplexe Verstrickung geschichtlicher Fakten, Realität und Fiktion ist auf diesem Niveau wahrlich nicht vielen Autoren zuzutrauen. Umso beeindruckender, dass es ihm gelungen ist. Man spürt beim Lesen immer wieder, wie viele Gedanken sich Stephen Fry zu diesem Thema gemacht haben muss.

Bevor Sie sich dieses Buch kaufen, muss ihnen natürlich eines klar sein: Um diese Geschichte überhaupt mögen zu können, muss man auf jeden Fall bedingungslos dazu bereit sein, die konstruierte Grundvoraussetzung zu akzeptieren. Doch wer Gedankenspiele dieser Art mag, der wird "Geschichte machen" zweifellos lieben! Denn die hypothetische Ausgangssituation regt einen unweigerlich zum Nachdenken an. Über dieses Buch werden Sie auch nach dem Durchlesen noch so manches Mal intensiv nachdenken.

Falls Sie wie auch ich gerne einmal Bücher in Englisch lesen, möchte ich ihnen dringend dazu raten, sich "Geschichte machen" im Original zu kaufen. Denn Stephen Frys genialer Umgang mit der Sprache sollte am Besten ohne jede Übersetzungsschwäche genossen werden. Leider kann man eben nicht alles 1:1 von einer Sprache in die andere übersetzen und dabei noch zu 100% die ursprüngliche Bedeutung beibehalten.

Ich hätte nie gedacht, dass mich ein Buch mit ausgeprägtem historischen Hintergrund derart zu faszinieren vermag. Doch Stephen Fry bietet uns geschichtliche Unterhaltung auf höchstem Niveau, die alles andere als staubtrocken oder langweilig anmutet. Daher macht dieser Roman auch den üblichen "Geschichtsmuffeln" große Freude! Wir begeben uns auf eine beeindruckende literarische Reise durch die Zeit mit einem Szenario, dass wahrscheinlich schon jedem von uns mindestens einmal durch den Kopf gegangen ist. "Geschichte machen" ist eines der ganz wenigen originellen Bücher, in denen das Thema "Zeitreisen" behandelt wird und geht trotz des nicht unbekannten Themas unbestreitbar neue Wege. Im Vergleich zu "Vaterland" von Robert Harris wird hier nicht "nur" aufgezeigt, wie ein fortbestehendes Drittes Reich ausgesehen hätte.

Stephen Fry packt das schwierige Thema "Adolf Hitler" sehr geschickt anders an, erzählt seine Geschichte auf erfrischend leichte und humorvolle Art und Weise. Sie wird derart bildhaft erzählt, dass man sich zwischendurch immer wieder verwundert die Augen reibt und es gar nicht glauben möchte, dass man ein Buch liest und keinen Film sieht. Es müssen zweiffellos sehr zeitaufwendige Recherchen nötig gewesen sein, um dem Buch die nötige historische Grundlage auch in den kleinsten Details zu verleihen. Zudem baut der Autor einen hervorragenden Spannungsbogen auf, der einem kaum Zeit zum Atmen lässt. Man will einfach wissen, wie die Geschichte sich weiterentwickelt und schafft es daher wenn überhaupt nur mit größter Mühe, das Buch einmal zur Seite zu legen.

"Geschichte machen" hat gegenüber der Konkurrenz, die sich einer ähnlichen Thematik bedient, den entscheidenden Vorteil, dass der Leser aus Michaels Sicht die veränderte "neue" Welt entdecken muss. Ich habe voller Freude jedes noch so kleine Detail der Veränderung in mir aufgesogen.

Auch weiß Stephen Fry seine sprachlichen Stilmittel gekonnt einzusetzen, ist er in den passenden Momenten gerne einmal witzig, legt er kurze Zeit später wieder die nötige Ernsthaftigkeit für dieses Thema an den Tag. Wohingegen ehrlich gesagt ein erzählerisches Stilmittel möglicherweise manchen Leser verschrecken könnte und somit von mir an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben darf: Der Autor schreibt dieses Buch teilweise in Drehbuchform. Mich hat es jedoch in keinster Art und Weise gestört, habe ich es sogar als Besonderheit betrachtet, die vielleicht den Hintergrund haben könnte, dass ob der gezielt herbeigeführten Veränderung der Geschichte der Vergleich zu einem Film gezogen sein möchte.

Die Story:
Michael Young, Geschichtsdoktorand in Cambridge, steht kurz vor seinem Doktor und stellt sich die hypothetische Frage, ob die heutige Welt eine bessere wäre, wenn Adolf Hitler niemals geboren worden wäre. Mit Hilfe des Physikers Leo Zuckermann, der eine Maschine entwickelt hat, mit der man kleine Gegenstände jeden beliebigen Ort in der Vergangenheit schicken kann, der seinen eigenen persönlichen Bezug zum Holocaust hat und seine Motivation aus einem dunklen Familiengeheimnis zieht, schafft er das scheinbar Unmögliche: Ihre Zeitreise führt sie in das Jahr 1888 nach Braunau, Hitler`s Geburtsstadt. Dort vergiften sie wie geplant das Trinkwasser, damit Adolf`s Vater zeugungsunfähig und seine Brut der Hölle nie das Licht der Welt erblicken wird. Ob das eine gute und durchdachte Idee war? Haben sie damit der Menschheit einen Gefallen getan? Das Ergebnis ist jedenfalls komplett anders als erwartet, die Geschichte hat sogar einen noch viel schlimmeren Verlauf genommen und so beginnen sie sich zu wünschen, einander nie begegnet zu sein. Auch das Schicksal der beiden verändert sich im Laufe der Geschichte im gleichen Maße, wie sich auch die Welt durch ihre Tat verändert hat. So sollte schlussendlich auch jedem von uns bewusst werden: Auch kleine alltägliche Dinge des Lebens könnten durchaus vom Verlauf der Geschichte abhängig sein. 


"Geschichte machen" ist eine aberwitizige Achterbahnfahrt durch zwei Zeitperioden, eine phantasievolle Parallelwelt und fährt neben interessanten Charakteren sowohl einige überraschende Wendungen als auch geschickt eingebauten britischen Humor und jede Menge Spannung auf.

Am Ende des Buches angelangt werden Sie sich vielleicht und völlig zu Recht fragen, ob die Realität, in der wir leben, die einzige Realität ist, oder ob es derer noch weitere gibt?

Vorausgesetzt, dass Zeitreisen eines fernen Tages einmal möglich sein sollten, stellen sich mir folgende Fragen: Kann man tatsächlich die Geschichte verändern und wäre es moralisch überhaupt vertretbar dies zu versuchen?

P.S.: Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr!  ;)

« Letzte Änderung: 10. Feb. 2012, 09:32:53 von Helluo Librorum »
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill


Andreas G. Wilsdorf

  • Gast
Antw:Stephen Fry - Geschichte machen
« Antwort #1 am: 23. Jan. 2012, 08:57:14 »
Moin,

Eine interessante, als auch neugierig machende Buchvorstellung. Ich hab es in meiner liste zu lesender Bücher notiert. Bücher, Filme und Gedankenspiele nach "Was wäre wenn" Hätte Hitler nie gelebt oder wäre im 1. WK gefallen. Wäre Cäsar von der Geschichte übersehen worden. hätte das Christentum sich nicht entwickelt, wären Mohamed, Buddah, Dchingis Khan nie an die macht gekommen. Wass wäre gewesen? Ich stimme aber der These auch zu es hätte möglicherweise noch viel schlimmer kommen können als wir, ok wir nicht mehr, aber unsere Ahnen es erlebt haben.

Für unsere Gereation der 1955 - 1975 Geborenen war es eher ewin Glücksfall denn keiner von uns musster in einen Krieg, wirklich Hungerleiden oder endete Namenlos in einem Massengrab.

Die Idee des Zeitreisens hingegen ist eine ganz andere die in dem Buch nach der Inhaltsangabe wohl eine Rolle spielt aber eher sekundär.

Ich selbst gehe davon aus das man die vergangenheitr nicht ändern kann "Großvaterprinzip" Aber das ist ein anderes Thema