Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":
Rochus Misch – Der letzte Zeuge: Ich war Hitlers Telefonist, Kurier und LeibwächterGenre: Biographie / Schicksal / Erfahrung
Seiten: 336
Verlag: Piper
ISBN-10: 3492257356
ISBN-13: 978-3492257350
Link zur Leseprobe:http://www.amazon.de/letzte-Zeuge-Telefonist-Leibw%C3%A4chter-Nachtigall/dp/3492257356/ref=lp_187254_1_9?ie=UTF8&qid=1380011260&sr=1-9#reader_3492257356„Ich bin ein unbedeutender Mann, aber ich habe Bedeutendes erlebt.“ (Rochus Misch)
„Nein, ich werfe dem Rochus Misch von damals nicht vor, dass er keinen Ärger machte. Dennoch - dass mir das so selbstverständlich war, das macht mich nachdenklich.“ (Rochus Misch)
„Wenn ich Rochus Misch begegnen sollte – ich würde ihm ohne Zögern die Hand geben.“ (Ralph Giordano im Vorwort)
Als Rochus Misch im Jahre 1940 zum Dienst unter Adolf Hitler abkommandiert wurde, war er sehr froh darüber, bedeutete dies nämlich, dass er endlich weg von der Front kam. Seine Chancen, diesen Krieg zu überleben, stiegen an. Rochus Misch gehörte fortan der SS in der Leibstandarte Adolf Hitlers an, war jedoch nie Mitglied der NSDAP. Dabei diente er Hitler nicht nur im Führerbunker, sondern z.B. auch in der Wolfsschanze sowie den privaten Domizilen in München und am Berghof. Für Rochus Misch war es eine den Verhältnissen angepasste normale Arbeit und er sah Hitler eher als seinen Chef denn als seinen „Führer“. Wie der Buchtitel bereits verrät, diente er Adolf Hitler, der sich sein direktes Umfeld sorgfältig und bewusst ausgewählt hat, im Laufe der Zeit als Telefonist, Kurier und Leibwächter. Rochus Misch, der gehorsam, unpolitisch und loyal war, passte perfekt in das Anforderungsprofil. So jemand wäre sicherlich kein zweiter Stauffenberg geworden. Tatsächlich wäre Rochus Misch, wie er selbst sagt, nie auf den Gedanken gekommen, sich Adolf Hitler zu widersetzen oder gar ein Attentat auf ihn zu verüben. Dafür hatte er vor allem auch viel zu große Angst vor den Konsequenzen, die ihm dann drohen würden. Er gab sein bestes, um mit seiner Arbeitsleistung Hitler zufrieden zu stellen und nie Gefahr zu laufen, dessen Missgunst zu erwecken.
Man begreift beim Lesen des Buches auch einmal mehr, dass die damalige Zeit keineswegs mit der heutigen zu vergleichen ist. Es war eine von Autorität geprägte Gesellschaft, in der man schon seinen Eltern „blind“ gehorchte. Gehorsam war oberste Priorität und wenn man denn tatsächlich einmal eine Entscheidung anzweifelte, dann nur im Geheimen und nicht offen ausgesprochen.
Rochus Misch gehörte zu den Personen im Zweiten Weltkrieg, die den engsten Kontakt zu Adolf Hitler hatten. Daher und weil er bis über den Tod Hitlers hinaus im Führerbunker verweilte, gehört er zwangsläufig zu den wichtigsten und kompetentesten Zeitzeugen aus diesem düsteren Kapitel der deutschen Geschichte.
In der heutigen Zeit, in der man, entsprechendes Interesse vorausgesetzt, kaum noch Neues über den Zweiten Weltkrieg erfahren kann, gewinnen die Berichte von Zeitzeugen immer mehr an Gewicht. Mir haben diesbezüglich bisher die 5 Tagebücher von Joseph Goebbels am besten gefallen, was ich an dieser Stelle auch als unbedingte Leseempfehlung aussprechen möchte.
Wer sich intensiv mit dem Zweiten Weltkrieg und vor allem der Person Adolf Hitler auseinandergesetzt hat, der weiß natürlich längst, dass dieser trotz aller Untaten nicht das personifizierte Böse war, sondern zu vielen Gelegenheiten auch wie ein völlig normaler Mensch wirkte. Wer Hitler einmal außerhalb seiner Reden hat sprechen hören, wird seine Stimme wahrscheinlich gar nicht wieder erkennen. Rochus Misch gehört zu den Personen, die Adolf Hitler auch als Mensch kennengelernt haben und nicht bloß als das Monster, was er in erster Linie für den größten Teil der Menschheit darstellt. Misch erzählt von Hitler, wie er ihn in der langen Zeit persönlich erlebt hat. Und das zeichnet ein differenziertes Bild von ihm und zeigt vor allem die menschliche Seite Hitlers, die, wie man anerkennen muss, zweifelsohne auch vorhanden war. Adolf Hitler sei ein freundlicher, fürsorglicher und großzügiger Mensch gewesen. Man erfährt auch kleine Details über ihn, die man vorher vielleicht noch nicht wusste und die man auch wahrlich nicht wissen muss. So erfährt man beispielsweise, dass Hitler eine Naschkatze war und gerne kegelte. Was für mich interessant gewesen wäre, in dem Buch jedoch leider fehlt, ist wie Rochus Misch über Adolf Hitler gedacht hat, nachdem er von den Sachen erfahren hat, die er zuvor nicht wusste, vor allem in der Frage der „Endlösung“.
Interessant zu lesen sind auch seine Begegnungen mit Hitlers Helfern wie beispielsweise Joseph Goebbels, Rudolf Heß, Martin Bormann sowie seine Eindrücke von diesen Menschen. Auch der wahnwitzige Englandflug von Rudolf Heß sowie das Attentat auf Adolf Hitler im Jahre 1944 werden aus der Sicht von Rochus Misch in diesem Buch beschrieben.
Das Highlight sind aber vor allem die letzten Tage im Führerbunker, die sehr detailliert und atmosphärisch dicht beschrieben sind.
"Misch, Sie werden natürlich noch gebraucht!", sagte Hitler am 22. April 1945 im Führerbunker zu Rochus Misch. Während andere mit Hitlers Genehmigung den Führerbunker verlassen dürften, band er einen seiner treuesten Diener noch länger an sich, was zu diesem Zeitpunkt schon fast einem Todesurteil gleichkam.
Wenige Tage später tötete Adolf Hitler erst seine geliebte Hündin Blondie mit einer Giftkapsel, bevor er dann sich selbst und seiner frisch getrauten Frau das Leben nahm.
Joseph Goebbels, den Hitler mit seinem politischen Testament zum neuen Reichskanzler ernannte, entließ Rochus Misch am 2. Mai 1945 aus dem Dienst. Er und seine Frau Magda beschlossen, sich das Leben zu nehmen und auch ihre Kinder mit in den Tod zu nehmen. Denn „eine Welt ohne den Nationalsozialismus sei nicht lebenswert.“, wie Magda Goebbels der Meinung war. Die Russen präsentierten anschließend die Leichen der Familie Goebbels der Berliner Bevölkerung. Einige Menschen bespuckten diese oder warfen mit Steinen nach ihnen. Eine sehr unschöne Szene, vor allem wegen der unschuldigen Kinder, die von Rochus Misch in dem Buch auch als sehr lebendig und sympathisch geschildert wurden.
Doch auch jetzt, nachdem sich sowohl Hitler als auch Goebbels feige das Leben genommen hatten, um der Gefangennahme oder der Tötung durch den Feind zu entgehen, war der zweite Weltkrieg, selbst nach der Kapitulation Deutschlands, für Rochus Misch noch lange nicht vorbei. Er geriet bei der Befreiung Berlins in russische Kriegsgefangenschaft, die insgesamt neun harte Jahre Gulag für Rochus Misch bedeuteten. Weil die Russen es ihm nicht glaubten, dass er nicht mehr wusste, als er in den Verhören zugab, wurde er immer wieder gefoltert.
Rochus Misch erklärt in seinem Buch, dass er erst in der Gefangenschaft der Russen begriff, dass das, was er zuvor lediglich als Arbeitslager kannte, Konzentrationslager waren, in denen die Juden systematisch vernichtet wurden. Wenn selbst er, der so lange persönlich Hitler gedient hat, davon nichts wusste, wie sollte es dann der „normale“ Bürger wissen? Ich denke, dass die wenigsten wirklich von den tatsächlichen Schrecken der Konzentrationslager wussten. Denn wie man in dem Buch auch erfährt, informierte Adolf Hitler selbst seinen engsten Führungskreis nicht über den wahren Zweck der Konzentrationslager.
Die Frage, ob Rochus Misch Mittäter oder Mitläufer ist, muss sich jeder selbst beantworten, obwohl es da meiner Meinung nach nicht ernsthaft zwei Meinungen geben kann. Denn auch wenn er nicht die Chance genutzt hat, zum Helden zu avancieren, ist er noch lange kein Verbrecher, nur weil er im direkten Umfeld von Adolf Hitler gearbeitet hat.
Rochus Misch hat übrigens auch bei den Dreharbeiten für die beiden Filme „Der Untergang“ und „Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat“ als Berater fungiert.
Dieses Buch hat er nach all der langen Zeit vor allem deshalb geschrieben, weil ihn immer noch viele Menschen immer wieder die gleichen Fragen gestellt haben. In seinem Buch gibt er nun endlich auch der Öffentlichkeit die Antworten darauf, so gut, wie es ihm denn möglich ist.
Ich habe beim Lesen den Eindruck gewonnen, dass Rochus Misch weder etwas bewusst weggelassen noch geschönt hat. Auch wenn er sich altersbedingt verständlicherweise nicht mehr an alles genau erinnern kann. Daher wirkte sein Erfahrungsbericht für mich jederzeit authentisch. Mir ist zudem positiv aufgefallen, dass Misch sich bei seiner Erinnerung nicht von Emotionen leiten lässt. So erfährt der Leser alles recht neutral und kann sich seine eigene Meinung bilden.
Man kann sich gut in Rochus Misch hineinversetzen, wenn man ein unvoreingenommenes Verständnis von der damaligen Zeit hat und fühlt sich beim Lesen schnell so, als würde man wirklich alles selbst erleben, was natürlich teilweise zu verschiedenen negativ belasteten Empfindungen führt, aber auch den Effekt hat, dass die Leseerfahrung besonders intensiv gerät.
„Der letzte Zeuge: Ich war Hitlers Telefonist, Kurier und Leibwächter“ ist ein Buch, das einen durchaus nachdenklich stimmt, vor allem aber sehr aufschlussreich ist, einem die Augen öffnet und dabei hilft, die Geschehnisse jener Zeit noch besser zu verstehen.
Mich persönlich hat das Buch dermaßen fasziniert, dass ich es tatsächlich an einem Tag durchgelesen habe. Für alle, die gerne lesen und interessiert am Zweiten Weltkrieg sind, ist dieses Buch eigentlich ein absoluter Pflichtkauf.
Hinweis
Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr.