R. I. P. – Cinemaxx in der Nikolaistrasse Das musste ja so kommen – das Cinemaxx Kino Nikolaistrasse macht endgültig dicht! Die Kündigungen für die Mitarbeiter sind schon beschlossene Sache, ab August ist Feierabend. Hans-Joachim Flebbe, Besitzer des Gebäudes und Vermieter, weiß noch nicht, was danach mit der Immobilie passiert: Ob es zu Wohnungen und Geschäftsräumen umgebaut wird, oder er dort ein, zwei Kinosääle seiner Edelmarke „Astor“ eröffnen wird. Dort würde es dann „besondere“ Filme in luxuriösem Ambiente geben. Große, weiche Sofas statt der üblichen Kinosessel, Mitarbeiter in Livree, Samtvorhänge und edle Weine. Wer so etwas braucht?!
Ich erinnere mich gerne an die Anfänge dieses ersten Cinemaxx Deutschlands, 1991. Das Cinemaxx Niklolaistrasse war nicht das erste Multiplex-Kino, aber für Hannover ein ganz großer Wurf.
Die Zeit vor CinemaxxDie ehemals großen Filmpaläste, wie das „Gloria“ oder das „Weltspiele“ in der Georgstrasse, die seit Jahrzehnten in Familienbesitz waren, wurden von Unternehmen wie der UFA aufgekauft. Heinz Riech, Besitzer der UFA, ließ dann diese schönen, prächtigen Premierenkinos, oft mit Stuck an Decken und Wänden und Balkonen ausgestattet (für die man teuer Geld bezahlen musste), radikal umbauen. All diesen Schmuck ließ er zugipsen, wegspachteln, übertünchen- Zack! Billige Raufasertapete drauf – Fertig! Aus einem großen Kinosaal wurden, durch Einzug von billigen Rigipswänden, zwei, manchmal sogar vier „Vorführräume“ (Säle konnte man das ja, beim besten Willen, nicht mehr nennen!). Manche dieser Räume hatten tatsächlich nicht mehr als zehn (!) Sitzplätze. Die, normalerweise in Kinos übliche, schwarze Umrandung der Leinwand, die dem Filmvorführer hilft, das projizierte Bild sauber zu zentrieren, wurde da schon mal weggelassen. Genau so die gesamte (!) Leinwand. Die wurde dann einfach durch eine weiße Raufasertapete ersetzt – sparte halt Geld! Obwohl in den Kinos vor Beginn des Films mit „Surround“ – Stereo – Tontechnik geworben wurde, fand der erstaunte Kinobesucher nicht selten nur eine, einzelne Lautsprecherbox unter der Leinwand, aus der dann der Filmton schepperte.
Besonders schmerzhaft sind mir noch die billigen Sitze in Erinnerung, in denen man sich das Kreuz verbog. Selbst normalgroße Menschen wussten nicht, wohin mit ihren Beinen – so schmal waren die Sitzreihen. Nach spätestens einer halben Stunde sehnte man das Ende des Films herbei – nicht weil er so schlecht war, sondern weil man in diesen Sitzen Höllenqualen litt! Wer damals, während der 80er Jahre, in diese UFA-Schuhkarton-Kinos ging, dem blieben vor allem die, allseits beliebten, „Verkaufspausen“ in Erinnerung. Nach der Werbung, die manchmal bis zu einer halben Stunde dauerte, kam dann ein Kino-Mitarbeiter herein, mit einem kleinen Bauchladen, und fragte „Möchte jemand Eis?“. Diesen „Service“ kennen heutige Kinobesucher, zum Glück, nur noch vom Hörensagen. Mir wurde sogar berichtet, eine Zeit lang habe man in den UFA-Kinos sogar den Hauptfilm für eine „Eis-Pause“ unterbrochen. Diese „Fürsorge“ um das leibliche Wohl seiner Gäste, wurde dann aber sehr schnell, „auf allgemeinen Wunsch“ wieder abgeschafft.
Mit Wehmut erinnere ich mich noch an die Werbung lokaler Geschäfte wie „It’s a Bikers Point“, dem Motorrad-Fachgeschäft in der Vahrenwalderstraße oder „Reifen-Günther“ oder den zahllosen Griechischen Restaurants, in denen der Besitzer immer höchstpersönlich das Bier zapfte und der Sohn oder die Tochter des Hauses die „Thessaloniki-Platte“, mit Bergen von gegrilltem Fleisch und Pommes, grinsend in die Kamera hielt. Der Sprecher sagte dann immer „Hier erwartet sie gepflegte Gastlichkeit!“
War diese Tortur endlich überstanden, konnte man sich dem Genuss zuwenden – Chuck Norris, wie er jemandem mit Anlauf ins Gesicht tritt und danach fünfzig „dreckige Kommunisten“ über den Haufen schießt! Hauptsächlich aus solchen (und ähnlichen) Filmen bestand damals nämlich das Programm der UFA-Kinos.
Splatter, Porno und Eastern – Das Bahnhofskino AKISchlimmer geht’s nimmer? Dann wart ihr noch nie in einem Bahnhofskino! Dazu muss man sagen, das Bahnhöfe in Deutschland im allgemeinen – und der hannoversche Hauptbahnhof war da keine Ausnahme – in den 70er und 80er Jahren keine Orte waren, an denen sich der Normalbürger gerne und lange aufhielt. Es sei denn, er musste verreisen! Außer Kiosken und Bäckereien gab es dort Gastro-Betriebe, die man am treffendsden als „Spelunken“ bezeichnen konnte. Wer da rein ging, tat das am besten bewaffnet! Das Gesindel, das sich ansonsten im Hauptbahnhof herumtrieb, bestand aus Strichern und ihren Freiern, Alkoholikern, Dealern und ihrer Kundschaft, irgendwelchen Eckenstehern, Pennern und Obdachlosen. Manche waren auch alles in einem. Es war finster und dreckig. Ich glaube, es gab damals drei Kinos dort, könnten auch vier gewesen sein, AKI genannt. Gespielt wurden eine einzigartige Mischung (denen Regisseur Quentin Tarantino übrigens mit seinen „Grindhouse“ Filmen „Death Proof“ und „Planet Terror“ ein Denkmal gesetzt hat) aus harten Pornos, brutalen Horror-Splatter Filmen und asiatischen Kampfsport-Filmen. Die Filme liefen (und das war bei den Bahnhofskinos einzigartig) immer in Dauerschleife, d.h. wenn man eine Eintrittskarte kaufte, kam man in den Hauptfilm, der z.B. schon eine halbe Stunde lang lief. Man schaute sich den Rest an, danach fing der Film sofort wieder von vorn an und man schaute den Anfang, den man verpasst hatte. In der Regel durfte dort auch geraucht werden (heute unvorstellbar!), wovon viele Besucher so ausgiebig Gebrauch machten, das man manchmal kaum die Leinwand sah. Bei einem Pornofilm war das auch nicht so schlimm, denn die Handlung war eh’ nicht so wichtig und die meisten Leute waren mit was anderem beschäftigt. Das Programm bestand aus Titeln wie „Teens – zur Lust verführt!“, „Emmanuelle – schwarze Nymphomanin im Sklaven-Camp“, „Säge des Todes“, „Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf!“, „Karato – Fünf Finger des Todes“ und – nicht zu vergessen – Klassiker wie „Die bronzenen Kämpfer der Shaolin“! Das AKI schloss 1989.
Der Anspruch steigt – die Kinos gehenZu meinen frühen Kinoerlebnissen gehört auch ein Kino in der Bahnhofstraße, das Festspielhaus. Heute ist dort, glaube ich, irgendein Klamottenladen oder so. Gegenüber dem Kaufhof war das. Damals wurden dort in einem Kino die ganzen James Bond-Filme gespielt – nichts anderes. Jede Woche ein anderer. Später, nach einer Renovierung, wurden aus einem Kino drei, die man, nach den Orten der bekanntesten Filmfestspiele, „Berlin“, „Cannes“ und „Venedig“ nannte. Dort liefen auch Filme in Originalsprache, Englisch, Französisch - ohne Untertitel! Das war dann was für den wahren Kulturfreak! Währenddessen machten die letzten, „unabhängigen“ Kinos der Reihe nach dicht: Der Filmpalast (später Victoria) am Schwarzen Bären (schon 1962), das Gloria in der Georgstrasse (1993), der Gloria-Palast in der Hildesheimer Strasse (1980), das Goethe-Haus (später Walhalla, heute Hot Movie, ein Pornokino) am Steintor, das Metropol in der Nordstadt, das Theater am Damm, am Engelbosteler Damm (heute Woolworth), das Palast-Filmtheater in der Bahnhofstrasse (2003), die Park-Lichtspiele an der Vahrenwalder Strasse, das Regina am Ernst-August-Platz, das Rivoli (& Roxy) in der Münzstrasse (Anfang der 80er), die Schauburg (später Metropol) in der Landwehrstrasse in Döhren, die Schauburg (später Kinopalast) in der Limmerstrasse in Linden, das Theater am Aegi, das Theater am Kröpcke (1993), das Theater am Thielenplatz, der UFA-Palast in der Hildesheimer Strasse, das Universum in der Lister Meile und die Weltspiele in der Georgstrasse (1992). Und das sind nur einige. Nicht genannt sind all die kleinen Stadtteilkinos, oft in Familienbesitz, die nicht das Geld hatten um bei der technischen Entwicklung mitzuhalten.
Eine neue Kinoära – das CinemaxxUnd während die alten starben, kam mit dem Cinemaxx eine neue Art des Kinos: Groß, geräumig, komfortabel. Erstaunt stellte ich fest, das Kino auch bequem sein kann, das ein Kino auch mehr als zwanzig Sitzplätze haben kann, das eine Kinoleinwand so groß sein kann, das sie einen regelrecht in den Film hineinsaugt, das man Filmton auch als „Sound“ bezeichnen kann. Bei „Der mit dem Wolf tanzt“ flogen einem Kugeln und Pfeile richtig um die Ohren, so das man meinte sich wegducken zu müssen. Für immer in meinem Kopf bleiben wird mir die Vorführung von „Jurassic Park“: Ich hatte eine Karte für die „Preview“ ergattert. Das Cinemaxx zeigte den Blockbuster in der Nacht vor dem offiziellen Deutschlandstart, um Mitternacht. 1993 waren Filme mit Computereffekten noch etwas völlig neues, der Film war restlos ausverkauft. Die realistischen Dinosaurier waren der Hammer! Aber der absolute Höhepunkt war der Auftritt des T-Rex: Als der das erste Mal brüllte, war es so still im Saal, das man eine Stecknadel hätte fallen hören können! Ich schaute zum Sitz neben mir, dort hatte sich eine Frau mit hochgezogenen Füßen völlig zusammengekauert und bibberte beim Anblick des Monsters. Das Zuschauer sich von den Tricks eines Films so gefangen nehmen lassen, habe ich seitdem nie wieder erlebt.
Nun hat sich auch dieses Cinemaxx selbst überlebt. Hier stirbt ein weiteres Teil hannoverscher Kinokultur. Ab August ist es Geschichte. Die Ironie dabei ist, das ausgerechnet der Mann, der es aus der Taufe gehoben hatte, nun sein Totengräber geworden ist. Als das zweite Cinemaxx am Raschplatz eröffnet wurde, und bekannt wurde, das Hans-Joachim Flebbe auch hier der Besitzer ist, schwante mir schon böses: Es war klar, das kann auf Dauer nicht gut gehen. Für zwei Cinemaxx ist Hannover dann doch zu klein, die kannibalisieren sich gegenseitig! Mal sehen, wie es mit den Kinos in Hannover weitergehen wird …
Cinemaxx Nikolaistrasse – ruhe in Frieden!