Hitchcock at his very best
Sir Alfred Hitchcock ist der wohl einflussreichste Filmregisseur der Moderne. Unzählige Studenten, die seine Filme sahen oder das geniale Buch „Mr Hitchcock, wie haben sie das gemacht?“ von Francois Truffaut gelesen haben, hatten danach den Wunsch, Regisseur zu werden. Er war fünf Mal für den Oscar© als „Bester Regisseur“ nominiert, gewann aber kein einziges Mal- was bis heute als Skandal in der „Oscar©“-Geschichte gilt. Er inszenierte 53 Spielfilme und produzierte mehrere Fernsehserien („The Alfred Hitchcock Hour“, „Alfred Hitchcock presents“ u.a.). Berühmt wurden seine „Gastauftritte“, in denen er sich in seinen Filmen für wenige Sekunden zeigte. Hitchcocks Filme hatten immer sehr viel mit ihm selbst und seinen Ängsten (z.B. vor großer Höhe oder vor Polizisten) zu tun. Aber auch seine Vorliebe für große, kühl wirkende, blonde Frauen brachte er in seinen Filmen zum Ausdruck.
Hitchcock war aber nicht nur Meister der Spannung („Master of Suspense“), er war auch Meister der Selbstinszenierung und der Selbstvermarktung. Entgegen der allgemeinen Vorstellung hat Hitchcock auch nur einen richtigen Horrorfilm gedreht („Die Vögel“, 1963). „Psycho“ (1960), gilt als Thriller mit Horror-Anklängen.
Aufsehen erregend waren seine ungewöhnlichen visuellen Einfälle. Schon in seinem Film „Der Mieter“ (1927) filmte Hitchcock durch einen Glasboden das Auf- und Abgehen eines Mannes. Da dies ein Stummfilm war, wollte er so die Geräusche der Schritte durch den Boden verdeutlichen.
In „Verdacht“ (1941) geht es um eine Frau, die ihren Ehemann verdächtigt, sie umbringen zu wollen, um an ihr Vermögen zu kommen. Der Mann (gespielt von Cary Grant) benimmt sich in der Tat höchst verdächtig. Als er seiner Frau abends ein Glas Milch bringt, hat der Zuschauer Angst, sie könne vergiftet sein. Hitchcock verstärkte diesen Eindruck, indem er ein kleines Glühlämpchen in das Milchglas tat, so dass die Milch leuchtete und so alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
In „Lifeboat – Das Rettungsboot“ (1944) kam Hitchcock seinem Ideal, eine dramatische Geschichte auf möglichst engstem Raum zu inszenieren, schon sehr nahe: Die Handlung spielt gänzlich in einem Rettungsboot. Der Film wird leider heute nur noch selten gezeigt.
1945, in dem Film „Ich kämpfe um Dich“, beschäftigte sich der Regisseur mit der Psychoanalyse. In der etwas komplizierten Handlung, liegt die Lösung für einen Mord an einem Psychiater tief im Unterbewusstsein eines Patienten (gespielt von Gregory Peck). Um die Traumsequenzen zu bebildern, arbeitete Hitchcock mit dem surrealistischen Maler Salvador Dali zusammen. Dali überforderte die Filmleute allerdings mit seinen Einfällen. So plante er eine Szene in einem Ballsaal mit herabhängenden Klavieren und unbeweglichen Figuren, die vorgeben zu tanzen, gefolgt von dem vorgeblichen Dr. Edwardes alias John Ballantine, der mit Dr. Petersen tanzt, bevor sie sich in eine Statue verwandelt. Auch wollte Dali eine Szene, in der die Schauspielerin Ingrid Bergmann über und über mit Ameisen bedeckt ist. Hitchcock lehnte ab, und so ist in der heutigen Fassung nur ein Teil der phantastischen Einfälle Dalis zu sehen.
Eine Filmtechnik, die auch heute noch zum Einsatz kommt, ist der „Dolly – Zoom“ (früher auch „Gummilinse“ genannt). Hitchcock benutzte sie in dem Film „Vertigo- Aus dem Reich der Toten“ (1958). Hier geht es um einen traumatisierten Polizei-Detektiv, der, wegen seiner Höhenangst (Akrophobie) den schrecklichen Tod einer Frau nicht verhindern konnte. Hitchcock brauchte sehr lange, um sich etwas einfallen zu lassen, wie man im Kino Höhenangst bildlich darstellen könnte. Er wollte, das die Zuschauer nachempfinden konnten, warum sich die Hauptfigur so verhält, wie sie es tat: Nicht, weil sie feige war, sondern aus einer tiefsitzenden Angst heraus. Schließlich entwickelte er das Verfahren der „Gummilinse“: Die Kamera ist auf einem fahrbaren Untersatz montiert (engl. „Dolly“), der auf Schienen läuft. Bei gleichzeitiger Vorwärtsfahrt betätigt der Kameramann das Zoom-Objektiv gegenläufig. Die Bildmitte bleibt unverändert während sich die Perspektive an den Rändern verschiebt, quasi als würde der Zuschauer in einen Tunnel hineinfahren, dessen Ende aber nicht näher kommt.
Unvergessen, selbst von Leuten, die keine Hitchcock-Fans sind, ist der Dusch-Mord in Hitchcocks Thriller „Psycho“ (1960). Es geht um eine Frau, Marion Crane (gespielt von Janet Leigh), die von ihrem Arbeitgeber 40 000 Dollar unterschlägt, um mit ihrem Freund ein neues Leben anzufangen. Auf dem Weg zu ihrem Freund kommt sie von der Hauptstraße ab und landet in einem unheimlichen, abgelegenen Motel. Sie lernt den jungen Besitzer Norman Bates kennen und entschließt sich, dort zu übernachten. Sie wird dann aber brutal unter der Dusche ermordet. Der Zuschauer soll glauben, es wäre Bates Mutter gewesen. Tatsächlich stellt sich am Ende heraus, das Bates selber der Mörder war. Aufgrund einer tiefsitzenden Geistesstörung lebte er zwei Leben: seines und das seiner Mutter, die tatsächlich schon lange tot war.
Die Duschszene wurde lange vorbereitet. Sie dauert insgesamt etwa zwei Minuten (der tatsächliche Mord nur 45 Sekunden). Der Dreh nahm eine ganze Woche in Anspruch, was etwa einem Drittel der gesamten Drehzeit Janet Leighs entspricht.
Hitchcock entschied sich dafür, die Gewalt dieser Szene in vielen Einstellungen aufzulösen und nicht direkt zu zeigen. So sieht man nicht, wie das Messer in den Körper eindringt. Hitchcock erzählte später: „Ich hatte einen wundervollen, künstlichen Oberkörper zur Verfügung, aus dem das Blut spritzte, wenn man hineinstach. Aber ich habe ihn nicht gebraucht.“ Die meisten Einstellungen sind extreme Großaufnahmen auf Marion Cranes Körper, Norman Bates’ Hand oder den Duschkopf. Die Szene gilt als einer der furchterregendsten und brutalsten Momente der Filmgeschichte, obwohl sie nur sehr wenig Blut enthält. Janet Leigh trug beim Dreh einen Badeanzug aus Moleskin. Für die Nahaufnahmen oder Einstellungen von oben kam das Körperdouble Marli Renfro zum Einsatz. Anthony Perkins war überhaupt nicht an der Szene beteiligt, sondern befand sich zu dieser Zeit in New York, wo er sich auf ein Theaterstück vorbereitete.
Der Duschkopf, den man in einigen Einstellungen von unten sieht, war in Wirklichkeit ein Modell mit fast zwei Metern Durchmesser. Dieses erlaubte, die Wasserstrahlen an der Kamera vorbei zu richten (keine Tropfen auf dem Objektiv). Statt des im Farbfilm üblichen Kunstblutes verwendete Hitchcock Schokoladensirup der Marke Bosco, da dieser auf Schwarzweiß-Film am realistischsten wirkte. Das Geräusch der Messereinstiche wurde mit Hilfe einer türkischen Wassermelone erzeugt. Als besonders schwierig erwies sich die letzte Einstellung, in der Marions lebloser Körper am Boden liegt. Die Aufnahme musste mehrmals wiederholt werden, da Janet Leigh immer wieder Wasser ins Auge bekam und blinzeln musste.
Für die Duschszene war ursprünglich keine musikalische Untermalung geplant. Bernard Herrmann gelang es jedoch, Hitchcock umzustimmen und schrieb das stakkatohafte Streicherstück The Murder, das zu den bekanntesten Themen der Filmgeschichte zählt und später in unzähligen Filmen zitiert wurde. Hitchcock war davon so begeistert, dass er Herrmanns Gage verdoppelte.
Über die Jahre haben sich zahlreiche Mythen und Anekdoten um die legendäre Szene gebildet, die sich mittlerweile als falsch herausgestellt haben. So wurde beispielsweise lange Zeit behauptet, Hitchcock habe plötzlich eiskaltes Wasser durch die Dusche laufen lassen, um Janet Leighs Schrei möglichst realistisch klingen zu lassen. Ein anderes Gerücht besagt, dass Leigh bis zuletzt nichts vom Verlauf der Szene gewusst haben soll und völlig unvorbereitet war.
„Psycho“ war Hitchcocks kommerziell erfolgreichster Film: Bei Kosten von damalig 806 000 Dollar, spielte der Film weltweit 50 Millionen ein, 30 Millionen davon allein in den USA. Hitchcock selbst verdiente dabei 15 Millionen durch Gewinnbeteiligung, nach heutigem Wert 105 Millionen Dollar.
Nach „Der unsichtbare Dritte“ (1959) war „Die Vögel“ (1963) der letzte spektakuläre Film von Alfred Hitchcock. Melanie Daniels (gespielt von ‚Tippi’ Hedren), eine High Society-Frau, lernt in San Francisco den Anwalt Mitch Brenner kennen. Sie folgt ihm zu seinem Wohnort Bodega Bay. Schon kurz nach ihrer Ankunft häufen sich Vorfälle, die alle im Zusammenhang mit Vögeln stehen. Die Tiere verhalten sich ungewöhnlich aggressiv. Die Ereignisse steigern sich in Art und Umfang, die Vögel belagern und attackieren den Ort und die Menschen. Für Melanie und die Familie Brenner scheint es keinen Ausweg mehr zu geben.
Der Film verzichtet auf die Untermalung durch einen musikalischen Soundtrack im herkömmlichen Sinne. Stattdessen ließ ihn Hitchcock unter Aufsicht seines bevorzugten Komponisten Bernard Herrmann von dem deutschen Komponisten Oskar Sala auf dessen Trautonium mit Montagen elektronischer Vogelklänge und Geräuscheffekte unterlegen. Hitchcock kannte das nach seinem Erfinder Friedrich Trautwein benannte und als Vorläufer der heutigen Synthesizer geltende Instrument von einem früheren Besuch in Berlin. Gerade die Spannung, die der Film ohne Musik erzielt, macht ihn auch musikwissenschaftlich zu einem Meilenstein. Im Film ist keine einzige natürliche Vogelstimme zu hören.
Danach lief Hitchcock dem Erfolg hinterher: Das Psychodrama „Marnie“ (1964) wurde von der Kritik verrissen, ebenso die Agentenfilme „Der zerrissene Vorhang“ (1966), bei dem es zum Bruch mit seinem Komponisten Bernard Herrman kam, und „Topaz“ (1969), einem finanziellen und künstlerischen Desaster. Hitchcock kehrte dann noch mal kurz in seine alte Heimat England zurück und drehte dort den Thriller „Frenzy“ (1972) um die Jagd nach einem Frauenmörder. Hier blitzte noch einmal kurz sein Talent für solche Spannungsgeschichten auf. Nach einem Herzinfarkt seiner Frau Alma Reville versank er aber wieder in Müdigkeit und Untätigkeit. Die Crew war, wie schon bei den drei vorangehenden Produktionen, weitgehend auf sich allein gestellt.
„Familiengrab“ (1976) war dann Hitchcocks letzter Film. Sein Genie als Regisseur ließ sich hier nur noch erahnen. Hitch war an mehreren Projekten gescheitert und schon sehr krank während der Dreharbeiten. Er hatte seine Energie verloren, kompensierte seine körperlichen Schmerzen zunehmend mit Alkohol und schlief, während der Aufnahmen, oft auf dem Regiestuhl ein. Seine Frau erlitt einen zweiten Schlaganfall. Am Morgen des 29. April 1980 starb Alfred Hitchcock im Alter von 81 Jahren in seinem Haus in Los Angeles an Nierenversagen. Sein Körper wurde eingeäschert, die Asche verstreut.