Meine Frau hat mir die Känguru Chroniken und das Känguru Manifest von Mark-Uwe Kling ans Herz gelegt, ich muss sagen, richtig Klasse!
Hier eine Leseprobe...
Die Känguru Chroniken von Marc-Uwe Kling
Poch Poch. Es klopft. Wer mag das sein zu dieser Zeit? Ich
gehe zur Tür und öffne.
»Ah. Sie sind’s«, sage ich.
»Hallo«, sagt das Känguru. »Darf ich reinkommen?«
»Bitte«, sage ich.
Es hüpft an mir vorbei ins Wohnzimmer.
»Mögen Sie Nirvana?«, fragt es und fläzt sich in den Sessel.
»Die Band?«, frage ich und lasse mich aufs Sofa fallen.
»Nein, das Jenseits!«, sagt es. »Natürlich die Band! Sie stellen wohl gern unnötige Fragen …«
»Ja.«
»Was ja? Sie mögen Nirvana oder Sie stellen gern unnötige Fragen?«
»Beides«, sage ich. »Ich lebe nach der Devise: Lieber fünf Mal nachgefragt als einmal nachgedacht. Und Nevermind war damals die erste Platte, die ich mir selbst im Laden gekauft habe.«
»Wirklich?«, fragt das Känguru.
»Nein. In Wahrheit war es Hier kommt Kurt von Frank Zander.«
»Ohne Helm und ohne Gurt. Einfach Kurt?«, fragt das Känguru.
»Ja«, sage ich. »Einfach Kurt. Aber ich wünschte, es wäre Nevermind gewesen.«
»Sehen Sie mal, was ich zufällig dabeihabe«, sagt das Känguru und zieht eine ziemlich blaue Schallplatte aus seinem Beutel. »Hätten Sie was dagegen, wenn ich die mal auflege? Ich hab nämlich zu Hause meine Anlage noch nicht angeschlossen und …«
Ich nicke und deute auf den Plattenspieler. Here we are now – entertain us …
»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«, setzt das Känguru unser Gespräch fort.
»Wieso?«, frage ich.
»Sie sind tagsüber immer zu Hause und – ohne Ihnen jetzt zu nahe treten zu wollen – es ist 13 Uhr, und Sie sind immer noch im Pyjama.«
»Ich bin, äh, na ja, äh, irgendwie, äh, Künstler«, sage ich. »Ich arbeite nachts.«
»Anschaffender Künstler?«, fragt das Känguru.
»Freischaffend heißt das«, sage ich.
»Ach so.«
»Ich schreibe Geschichten und Lieder, und dann trete ich auf und …«
»Ach! Sie sind Kleinkünstler!«, sagt das Känguru.
Ich zucke zusammen: »Ah! Das böse Wort.«
»Kleinkünstler?«
Wieder zucke ich zusammen.
»Kennen Sie das Tocotronic-Lied: ›Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst‹?«, fragt das Känguru.
»Ja«, sage ich. »Mag ich nich.«
»Verstehe.«
»Und Sie?«, frage ich. »Was machen Sie?«
»Ich bin Kommunist«, sagt das Känguru.
»Ach so.«
»Was dagegen?«
»Nee, nee.«
Das Känguru blickt mich herausfordernd an.
»Trotzki?«, frage ich.
»Ho Chi Minh«, sagt das Känguru. Es deutet auf die Packung auf dem Tisch. »Was ist denn das?«
»Schnapspralinen«, sage ich.
»Darf ich?«
»Bitte. Mag ich sowieso nicht.«
Es wirft sich zwei Pralinen in den Mund.
»Köstlich!«, ruft es. »Auch welche?«
»Nee. Mag ich nicht. Haben Sie nicht zugehört?«
»Offensichtlich nicht«, sagt das Känguru. »Denken Sie nicht mit?«
»Nein. Nie«, sage ich. »Ich lebe nach der Devise: Lieber fünf Mal nachgefragt als einmal nachgedacht. Haben Sie nicht zugehört?«
Das Känguru nimmt sich noch eine Praline.
»Kleinkünstler also …«, sagt es und lacht kurz auf. »Hier sind wir jetzt – unterhalte uns!«
»Machen Sie das öfter?«, frage ich.
»Sie meinen: Zitieren?«
»Ja.«
»Wollen wir uns duzen?«, fragt das Känguru.
»Von mir aus«, sage ich.
»Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.«
Das Känguru hat mich für neun Uhr zum Essen eingeladen. Vielleicht will es sich dafür revanchieren, dass es meinen Kühlschrank geplündert hat, vielleicht hofft es auf eine Plakette für eine vorbildliche sozialistische Hausgemeinschaft. Als ich um fünf nach neun zur Tür reinkomme, hat das Känguru schon angefangen zu essen.
»Du bist spät«, sagt es mit vollem Mund.
»Ich mag alles außer Fisch«, hatte ich gesagt, als es mich eingeladen hat.
Es gibt Fischstäbchen.
»Ich ess keinen Fisch«, sage ich.
»Kannste ruhig essen«, sagt das Känguru. »Is eh Hähnchen.«
»Was?«, frage ich.
»Is alles Hähnchen«, sagt das Känguru. »Fischmac, Schweineschnitzel, Rindergulasch: alles Hähnchen.«
»Alles Hähnchen?«, frage ich.
»Ja, außer Chicken Nuggets«, sagt das Känguru.
»Chicken Nuggets?«
Ich muss unbedingt damit aufhören, immer nur stupide die letzten Worte des Kängurus zu wiederholen.
»Chicken Nuggets sind panierter Tofu«, sagt das Känguru.
»Panierter Tofu?«, frage ich. Verdammt.
»Jetzt setz dich und iss dein Geflügel, Junge«, sagt das Känguru.
»Wen hast’n gewählt?«, frage ich beim Essen. Es hatte gerade eine Wahl für irgendwas stattgefunden.
»Ich hab nicht gewählt«, sagt das Känguru.
»Darfste nicht?«, frage ich.
»Ich darf nicht und ich will nicht«, sagt das Känguru.
»Du willst nicht?«, frage ich.
»Ja. Weil das gar keine Wahl ist«, sagt das Känguru. »Das ist nämlich nur ein Demokratietrugbild, eine Abstimmungsattrappe, eine Volksherrschafts-Fata-Morgana. Kurz gesagt: nur der Schein einer Wahl, oder, um den offiziellen Terminus zu verwenden: ein Wahlschein.«
»Ein Wahlschein?«, frage ich.
»Das ist, als ob du in den Supermarkt gehst und da wählen kannst zwischen der Tütensuppe von Maggi und der Tütensuppe von Knorr, aber in Wirklichkeit ist alles Nestlé. Der Wahlschein suggeriert Freiheit, aber in Wirklichkeit sage ich dir: Alles Kapitalismus, alles Nestlé, alles Hähnchen. Da ich nun aber generell keine Tütensuppe essen will, ist mir die Markenwahl im Supermarkt eben schnurzpiepe.«
»Schnurzpiepe?«, frage ich. »Wie meinst’n des?«
»Hast du ’nen Defekt?«, ruft das Känguru. »Plapperste immer alles nach? Auch was die Herolde des Tütensuppen-Totalitarismus auf allen Frequenzen verkünden: ›Tütensuppen sind alternativlos! Tütensuppen sind alternativlos!‹ Das ist so eklig.«
»Hm. Weißte, was echt ekelig ist?«, frage ich und halte ein labberiges Fischstäbchen in die Höhe. »Das hier.«
»Ach was«, sagt das Känguru pampig. »Damals beim Vietcong haben wir das jeden Tag gegessen. Nur ohne Panade.«
Ich blicke es fragend an.
»Und ohne Füllung.«
»Vietcong?«, frage ich.
»Tjaaaaaa …«, sagt das Känguru vielsagend. Beziehungsweise wenig sagend. Es sagt quasi alles und nichts zugleich. Allerdings eher nichts.
Lustlos stochere ich mit der Gabel in meinem Fischstäbchen herum.
»Wenn’s dir nicht schmeckt, kannst du ja das nächste Mal wieder kochen«, sagt das Känguru.
»Das nächste Mal?«, frage ich. »Ich glaub, ich koch lieber jedes Mal.«
Und noch während ich diese Worte spreche und sehe, wie ein flüchtiges Lächeln über das Gesicht des Kängurus huscht, beschleicht mich das Gefühl, dass genau dies auch der Sinn des Manövers war.
»Dass es immer noch Menschen gibt, die meine Adresse nicht haben …«, sage ich kopfschüttelnd zum Känguru, während wir ein Formular oder ein Gewinnspiel oder einen Mitgliedschaftsantrag oder so was ausfüllen. »Ich habe nämlich das Gefühl, meine Adresse schon jedem Menschen auf der Welt persönlich auf einen Zettel geschrieben zu haben.«
»Ja, ja«, sagt das Känguru, füllt das Feld mit seiner Telefonnummer aus, öffnet dahinter eine Klammer und schreibt hinein: 69 Cent pro Minute.
»Was soll denn das?«, frage ich.
»Hab mir ’ne neue Nummer besorgt«, sagt das Känguru. »Hab letztens so ’nem Typen von ’ner Bank ’ne halbe Stunde am Telefon zugehört. Der meinte, ich müsse jetzt schon an meine Altersvorsorge denken, Zeit sei kostbar, und da dachte ich: Der Mann hat völlig recht. Meine Zeit ist viel zu kostbar, um mir für umme so ’nen Quatsch anzuhören.«
»Und jetzt hast du dir ’ne 0900-Nummer besorgt?«, frage ich.
»So isses.«
»Das heißt, jedes Mal, wenn dich jetzt so ’ne Bank, so ein Marktforschungsinstitut oder die Zeugen Jehovas anrufen, verdienst du dir deine Altersvorsorge?«
»Ruf mich mal an«, sagt das Känguru.
»Nee«, sage ich lachend. »Ist mir zu teuer.«
»Doch, jetzt mach mal. Ich will dir was zeigen.«
»Jahaa! Du willst mir zeigen, wie schwuppdiwupp zwei Euro von meinem Konto auf deines wandern, nur damit ich mit dir reden darf.«
»Nee. Was anderes. Pionierehrenwort! Jetzt ruf mal an.« Tuut. Tuut. Krk. Bitte haben Sie noch einen Augenblick Geduld.
»Hörst du schon was?«, fragt das Känguru.
»Ja«, sage ich. »Midi-Pop-Warteschleifenmusik. Wolltest du mir das zeigen?«
»Nee. Moment noch.« Krk. Das nächste freie Känguru ist für Sie reserviert. Krk.
»Siehst du?«, fragt das Känguru und kuckt auf die Uhr. »Jetzt habe ich schon drei Euro verdient, ohne überhaupt mit dir geredet zu haben.«
»Die will ich aber wieder«, sage ich und lege verärgert auf.
Gleich darauf klingelt das Telefon des Kängurus erneut.
»Ja. Hallo?«, fragt es. »Ob ich fünf Minuten Zeit für eine Umfrage habe? Fünf Minuten? Fünf Stunden, Herzchen!«, und es verschwindet in Richtung Tür.
»Hey! Was ist mit meinen drei Euro?«, frage ich.
»Wenn du dich beschweren willst«, sagt das Känguru im Hinausgehen, »ruf mich doch einfach an.«
2009, 272 Seiten, Maße: 12,1 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch Ullstein TB ISBN-10: 3548372570
ISBN-13: 9783548372570